SG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2007 , Az.: S 6 R 2323/07:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Weitergewährung von Halbwaisenrente über den 30. Septem-ber 2006 hinaus.
Die Klägerin wurde am 26. Oktober 1969 geboren. Ihr Vater U A, der Angehöriger der zusätzlichen Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen sowie der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beigetreten war, starb am 08. Mai 1986. Daraufhin erhielt die Klägerin mit Beginn am 01. Mai 1986 eine Halbwaisenrente nach den Rechtsvorschriften des Beitrittsgebiets. Die Beklagte, die diese Rente mit Bescheid vom 09. März 1995 nach den Vorschriften des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs ab 01. Juli 1990 neu feststellte, bewilligte der Klägerin die Halbwaisenrente zuletzt mit Bescheid vom 22. August 2006. Hierin teilte sie der Klägerin mit, dass die Rente mit dem 30. September 2006 wegfalle, ohne dass ein weiterer Bescheid erteilt werde.
Die Klägerin ist gegenwärtig im 34. Fachsemester in Evangelischer Theologie an der … Universität zu B immatrikuliert. Bereits im Jahr 1998 erfüllte sie alle Zulassungsvoraussetzungen für die Abschlussprüfung. Die letzte Teilprüfung absolvierte sie im Jahr 2002. Die Regelstudienzeit beträgt für das Studium der Evangelischen Theologie 13 Semester.
Seit dem 06. August 1996 ist der Klägerin ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Sie war seit Oktober 2005 sehr häufig krankgeschrieben und wurde schließlich ab Oktober 2006 wegen Krankheit vom Studium beurlaubt.
Den Antrag der Klägerin, ihr über den 30. September 2006 hinaus Waisenrente zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2006 ab. Ein Anspruch auf Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus bestehe nur, wenn Zeit und Arbeitskraft überwiegend für die Ausbildung aufgewendet würden. Ausbildung in diesem Sinne sei das Erlernen von Wissen und Fähigkeiten. Nach Angaben der Klägerin werde jedoch nur der bereits gelernte Lehrstoff erhalten bzw. gefestigt. Eine Ausbildung im Sinne des Gesetzes liege somit nicht mehr vor.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 19. Dezember 2006 (Eingang bei der Beklagten) Widerspruch ein. Das Studium sei noch nicht beendet. Es liege eine Ausbildung vor, da das Ausbildungsverhältnis nicht unterbrochen sei, denn die Beurlaubung wegen Krankheit sei keine Exmatrikulation. Trotz Krankheit stelle sie die ihr verbliebene Kraft und Zeit in den Dienst ihres Studiums, da sie den festen Willen habe, dieses Studium zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung wiederholt sie ihre Ausführungen im Bescheid vom 20. November 2006.
Mit ihrer am 14. März 2007 (Eingang) beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Eine Beurlaubung vom Studium lasse das Studien- und damit das Ausbildungsverhältnis fortbestehen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr über den 30. September 2006 hinaus Waisenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten ein Schreiben von Prof. Dr. H K vom 16. Juli 2007 vorgelegt, in dem dieser mitteilt, dass sich die Klägerin seit einigen Monaten intensiv auf das erste theologische Examen vorbereite und sie in einem Gespräch am 08. Juli 2007 entschlossen versichert habe, sich das Examen zuzutrauen. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat zudem beantragt, eine ärztliche Stellungnahme des die Klägerin behandelnden Neurologen/Psychiaters und ggf. ein gerichtliches Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet einzuholen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die vorgenannten Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 20. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Waisenrente über den 30. September 2006 hinaus.
Die Gewährung von Waisenrente nach § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) kommt nicht in Betracht, da der Anspruch auf Halb- oder Vollwaisenrente nach Maßgabe des Absatzes 4 dieser Bestimmung längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres besteht, wenn sich die Waise in Schulausbildung befindet. Die Klägerin, die bereits das 37. Lebensjahr vollendet hat, hat diese Altersgrenze bereits seit über zehn Jahren überschritten.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Weitergewährung der Waisenrente als Bestandsrente aus der überführten Rente des Beitrittsgebiets. Die Halbwaisenrente der Klägerin wurde durch §§ 2 Abs. 2, 4 Abs. 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) in die Rentenversicherung überführt. Gemäß § 21 Abs. 2 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung (Rentenverordnung), die bis zum 31. Dezember 1991 im Beitrittsgebiet galt, gelten für die Dauer der Zahlung der Waisenrente die gleichen Voraussetzungen, die gemäß § 18 Abs. 3 für die Dauer der Zahlung des Kinderzuschlages maßgebend sind. Nach § 18 Abs. 3 Buchstabe c) Rentenverordnung wird die Waisenrente folglich für die Dauer eines unmittelbar im Anschluss an die Schulentlassung, ein Lehrverhältnis, ein Vorpraktikum oder vor Vollendung des 25. Lebensjahrs aufgenommenen Direktstudiums an einer Universität gezahlt.
Es kann dahin stehen, ob das Studium der Klägerin durch deren längere Krankheit unterbrochen und dadurch der Anspruch auf die Waisenrente entfallen ist, da die Klägerin lediglich ein Scheinstudium absolviert, für das die Beklagte keine Waisenrente zu gewähren hat. Folglich ging die Beweisanregung des Bevollmächtigten der Klägerin ins Leere, da im Hinblick auf die Schwere der Erkrankung der Klägerin bzw. deren Möglichkeit der Fortsetzung und Beendigung des „Studiums“ kein Ermittlungsbedarf besteht.
Eine Weitergewährung der bereits seit über 20 Jahren gezahlten Waisenrente kommt nicht in Betracht. Sinn und Zweck der Bestimmung über die Dauer der Waisenrentenzahlung in §§ 21 Abs. 2, 18 Abs. 3 Rentenverordnung schließen eine zeitlich unbegrenzte Gewährung von Waisenrente aus. Alle in § 18 Abs. 3 Rentenverordnung genannten Varianten haben gemeinsam, dass die Dauer der Leistungsgewährung an den Tatbestand einer (Schul-, Berufs-, Hochschul-) Ausbildung geknüpft ist. Begrifflich ist eine Ausbildung in diesem Sinne kein Selbstzweck, sondern final darauf gerichtet, auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Fähigkeiten zu erlangen (zur Finalität des Ausbildungsbegriffs vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 1994, Az. 10 RKg 21/92). Bis zur Erlangung derartiger Fähigkeiten ist die Waisenrente zu leisten, um der Waise den Weg ins Berufsleben zu ermöglichen. Danach kann die Dauer einer Ausbildung nicht von der Entscheidung und Selbstverantwortung des Studierenden abhängen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. Mai 2004, Az. L 14 KG 2/02). Bei Überschreitung der Zeit, die für die Erlangung der auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren
Fähigkeiten erforderlich ist, ist vom Vorliegen einer Scheinausbildung, hier eines Scheinstudiums auszugehen. Im Falle des Studiums der evangelischen Theologie an der …. -Universität zu B ist eine Regelstudienzeit von 13 Semestern vorgegeben, in der der Studiengang bei zügigem und intensivem Studium absolvierbar ist. Selbst bei Berücksichtigung des Umstandes, dass bei der Regelstudienzeit von idealisierten Bedingungen ausgegangen wird, die in der Praxis häufig nicht gegeben sein dürften, ist jedenfalls bei Überschreitung der Regelstudienzeit um das 2,5fache – die Klägerin befindet sich als Langzeitstudentin derzeit im 34. Fachsemester – nicht mehr von einem Studium auszugehen, das der Erlangung von auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Fähigkeiten dient.
Entgegen der Auffassung der Klägerin dauert die Ausbildung auch nicht deshalb zeitlich unbeschränkt fort, weil sie das theologische Examen nicht absolviert hat. Grundsätzlich gehört zu einer Ausbildung zwar auch die entsprechende Abschlussprüfung. Dies kann jedoch nur dann gelten, wenn sich die Prüfung unmittelbar an die Phase der Erlangung der erforderlichen Fähigkeiten anschließt (vgl. Gürtner in Kasseler Kommentar, 53. Ergänzungslieferung 2007, § 48 Rn. 37). Bei der Klägerin, die die Regelstudienzeit um das 2,5fache und danach auch unter Berücksichtigung organisationsbedingter Verzögerungen die vorgesehene Studiendauer weit überschreitet, ist die tatsächliche Ausbildungszeit bereits lange abgeschlossen mit der Folge, dass sich die – wann auch immer beabsichtigte Prüfung – nicht mehr an die Erlangung der erforderlichen Fähigkeiten anschließt. Schließlich erfüllte die Klägerin bereits im Jahr 1998 alle Zulassungsvoraussetzungen für die Abschlussprüfung, die sie seither dennoch nicht absolvierte.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG